Trierer Reformator goes Digital
Das TOP MAGAZIN im Gespräch mit Dr. Vera Hildenbrandt vom Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier/Trier Center for Digital Humanities.
TOP MAGAZIN: Würden Sie unseren Lesern zunächst einmal kurz erläutern, was das Kompetenzzentrum ist und was die Digital Humanities und deren Aufgabengebiete sind?
Dr. Vera Hildenbrandt: Das Kompetenzzentrum wurde 1998 gegründet und leistet als eines der ältesten Zentren dieser Art in Deutschland Pionierarbeit auf dem noch jungen, aber vergleichsweise breiten Forschungsfeld der Digital Humanities (DH). In den DH arbeiten Geisteswissenschaften, Informatikwissenschaften und Computerlinguistik zusammen, lernen voneinander, schlagen gemeinsam innovative Wege ein, beantworten alte Fragen mit Hilfe neuer Technologien und regen kreative Forschungsfragestellungen an. Die Schwerpunkte liegen vor allem in der digitalen Publikation und Vernetzung von beispielsweise Wörterbüchern und Quellen sowie in der Entwicklung virtueller Räume und Werkzeuge, die geisteswissenschaftliche Forschungen unterstützen und die digitale Erschließung, Analyse und Visualisierung erlauben. Um beispielsweise im 33-bändigen und rund 30 Kilogramm schweren Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm nachzuschlagen, müssen nicht mehr die Bände selbst gewälzt werden, sondern es kann in der Onlineversion recherchiert werden, die zudem mit einer Reihe anderer Wörterbücher vernetzt ist. Der Benutzer kann so in über zwanzig Nachschlagewerken gleichzeitig recherchieren und sehr viel schneller mehr Informationen finden als in der Bibliothek am Bücherregal. Der heute auf 25 Standorte weltweit verstreute Bibliotheksbestand der mittelalterlichen Benediktinerabtei St. Matthias in Trier ist in einem virtuellen Skriptorium wieder zusammengeführt, das den historischen Handschriftenbestand rekonstruiert.
TOP MAGAZIN: Wie gehen Sie bei einer solchen Digitalisierung vor?
Dr. Vera Hildenbrandt: Das Vorgehen bei einer Digitalisierung ist abhängig von den zu digitalisierenden Objekten selbst und von den Zielen, die damit verfolgt werden. Wesentlich ist der Einsatz offener, international anerkannter Empfehlungen, Standards und Schnittstellen, da sie nicht nur die langfristige Nutzbarkeit der Daten garantieren, sondern auch dafür sorgen, dass sie mit anderen Objekten und Informationsquellen vernetzt und weitergenutzt werden können. Im Fall des Olevian-Projekts wurden in mehr als 20 Bibliotheken, Archiven und Museen in Deutschland und der Schweiz Ölgemälde, Kupferstiche, Holzschnitte, Eisenradierungen, Zeichnungen, Stadtansichten, Graphiken, Medaillen, aber auch Manuskripte, Drucke, Briefe, Zeugnisse und sonstige Lebensdokumente des Reformators gemäß bestimmter Vorgaben gescannt oder fotografiert. Diese Digitalisate wurden vom Trierer Projektteam mit zusätzlichen Informationen über die Objekte wie etwa Autor, Titel, Erscheinungsjahr etc. versehen.
TOP MAGAZIN: Wer war Caspar Olevian und warum haben Sie ein Portal über ihn veröffentlicht?
Dr. Vera Hildenbrandt: Wir blicken zurück auf 500 Jahre Reformation, auf ein zentrales Ereignis der europäischen Geschichte und seine die Moderne bis in die heutige Zeit hinein prägenden religiösen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Auswirkungen. Vielerorts wird dabei Martin Luther als der Reformator ins Zentrum gerückt, obwohl die Reformation eine Bewegung vieler bedeutender Theologen und Kirchenpolitiker war, die jeweils eigene Schwerpunkte setzten. Einer dieser Theologen war der 1536 in Trier geborene Reformator Caspar Olevian, der während seines Studiums der Rechtswissenschaften in Frankreich evangelisch wurde und nach anschließenden theologischen Studien in der Schweiz im Jahr 1559 einen Reformationsversuch in Trier unternahm, der mit der Ausweisung Olevians und seiner Mitstreiter aus der Stadt endete. Bis zu seinem Tod im Jahr 1587 leistete Olevian als Pfarrer und Prediger, als Erzieher, Lehrer und Theologieprofessor in Heidelberg, Berleburg und Herborn Beachtliches in Theologie, Pädagogik und Kirchenpolitik. Daher möchte Trier im Reformationsjahr 2017 an Caspar Olevian, sein Leben und Wirken erinnern und durch ein Portal der Erforschung seines Werks neue Impulse geben.
TOP MAGAZIN: Wann gab es die erste Idee zum Caspar- Olevian-Portal und wie lange hat der Prozess gedauert, von der Idee über die Umsetzung bis hin zum fertigen Portal?
Dr. Vera Hildenbrandt: Im Frühjahr 2016 kamen auf Initiative des Universitätspräsidenten Professor Dr. Michael Jäckel Vertreter des Evangelischen Kirchenkreises, der Caspar-Olevian-Gesellschaft, der Stadtbibliothek Trier und des Kompetenzzentrums zusammen, um über den Trierer Beitrag zum Reformationsjahr nachzudenken. Sehr schnell kristallisierte sich die Idee heraus, eine Ausstellung in der Trierer Stadtbibliothek mit einem digitalen, dauerhaft verfügbaren Angebot zu kombinieren. Im Sommersemester 2016 entwickelten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kompetenzzentrums gemeinsam mit Studierenden des Master-Studiengangs ein Konzept, das im Wintersemester 2016/17 umgesetzt wurde. Am 6. April 2017 wurde das Caspar Olevian-Portal offiziell freigeschaltet.
TOP MAGAZIN: Wie genau ist das Portal aufgebaut?
Dr. Vera Hildenbrandt: Das Portal gibt das Leben und Wirken Olevians wieder: Lebensstationen und zentrale Wirkungsstätten des Reformators werden auf einem Zeitstrahl dargestellt und parallel durch wichtige politische, gesellschaftliche und religiöse Ereignisse des 16. Jahrhunderts in einen größeren historischen Kontext eingebettet. Mittels interaktiver Kartenvisualisierung kann Olevians Lebensweg durch Deutschland und Europa geographisch verfolgt werden. Seine Stationen in Trier werden – auch für heutige Besucher der Stadt – erlebbar durch einen virtuellen Spaziergang, der zu den Orten führt, an denen Olevian in Trier gelebt, gelernt und gewirkt hat. Begleittexte bieten Informationen zu den Stationen in der Heimatstadt des Reformators. Personen, mit denen er in Kontakt stand oder die ihn beeinflusst haben, werden auf einer Zeitkarte aufgetragen. Auf diese Weise ist es möglich, das Jahrhundert Olevians als Fläche abzubilden, als Band mit Lebenslinien, das verdeutlicht, wer wann und wie lange gelebt hat und welche Zeitgenossenschaften es gab. Im Zentrum des Portals steht die virtuelle Ausstellung mit Objekten, Schriften und Dokumenten, die Zeugnis ablegen von Olevians Schaffen. Das Portal vereint die Funktionen des Ausstellens, Sammelns und Informierens, ist also gleichermaßen Museum und Archiv.
TOP MAGAZIN: Was sind die Vorteile eines virtuellen Portals/ Welches „mehr“ kann ein solches Portal im Vergleich zu Ausstellungen bieten?
Dr. Vera Hildenbrandt: Anders als „analoge“ Ausstellungen kann ein virtuelles Portal keinen „dinglichen“ Zugang zu den gezeigten Exponaten bieten. Aber es gestattet unter Schonung der wertvollen und zum Teil fragilen realen Ausstellungsstücke nicht nur deren „Besichtigung“ ohne zeitliche und räumliche Einschränkung, sondern erlaubt den Besuchern durch hochauflösende Bilddateien auch Detailan- und einsichten. Zudem können so unbegrenzt Ausstellungsstücke aus weltweit verstreuten Museen, Bibliotheken und Archiven zusammengeführt werden. Ein ganz wesentlicher Vorteil besteht darin, dass das Caspar Olevian-Portal, zunächst entstanden als digitale Ergänzung zur Ausstellung in der Stadtbibliothek Trier, auch jetzt noch zur Verfügung steht.
TOP MAGAZIN: An welchen weiteren Projekten arbeiten Sie aktuell?
Dr. Vera Hildenbrandt: Neben den oben bereits genannten Vorhaben wird am Kompetenzzentrum aktuell eine ganze Reihe von DH-Projekten realisiert. So entwickeln wir gerade ein Portal für Friedrich Spee, einen weiteren gebürtigen Trierer. Wir arbeiten außerdem unter anderem an der Digitalisierung und Online- Publikation der Neubearbeitung des Grimmschen Wörterbuchs, an der digitalen Erschließung und Veröffentlichung der sogenannten „Baumeisterbücher“ (mittelalterliche Rechnungsbücher der Stadt Augsburg). Zu meinen persönlichen „Herzensprojekten“ gehören die „Vernetzten Korrespondenzen“, die darauf abzielen, über Briefe entstandene soziale, räumliche und thematische Netze deutschsprachiger Künstler und Intellektueller, die durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten ins Exil gezwungen wurden, zu erforschen.
TOP MAGAZIN: Vielen Dank für das Gespräch.